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Das System auf den Kopf stellen

Finnland macht dem Rest der Welt vor, wie Obdachlosigkeit beendet werden kann. Ortsbesuch in Helsinki. Eine Reportage, freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt.

Text: Lukas Gilbert & Foto: Katja Tähjä


Viljo ist erschöpft. Gerade erst ist der schlanke 40-Jährige, der sein grünes Basecap tief ins Gesicht gezogen trägt, von einem Ausflug auf eine der Inseln vor der Küste Helsinkis zurückgekommen. Sein Vermieter, die Blue Ribbon Foundation, betreibt dort ein Haus mit Sauna, Grillplatz und Booten. Viljo und die anderen Mieter/innen können die Angebote nutzen – und tun das vor allem während des lange herbeigesehnten finnischen Sommers. Jetzt macht es sich der Ex-Wohnungslose in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung gemütlich, wo eine US-amerikanische Sitcom über den Fernseher flimmert.

Viljo ist einer von rund 1000 ehemals Wohnungslosen, die ein Zuhause in einer der Wohnungen der Blue Ribbon Foundation in Helsinki gefunden haben. Seit 2007 bietet die Organisation Wohnungen für Menschen ohne Zuhause an und ist damit wichtiger Teil der finnischen Housing-First-Strategie. Die simple Idee dahinter: Wohnungslose brauchen als erstes eine eigene Wohnung – weil Wohnen ein Menschenrecht ist, aber auch, weil sich viele Probleme erst in den eigenen vier Wänden lösen lassen. Hilfe mit Ämtern, vielleicht auch bei der Bewältigung von Suchterkrankungen: All das kommt nach dem Einzug. Wenn die Betroffenen das wollen.

Das Prinzip stellt das lange auch in Finnland praktizierte Stufenmodell auf den Kopf. Danach müssen Obdachlose zunächst in verschiedenen Arten von Unterkünften ihre sogenannte Wohnfähigkeit unter Beweis stellen. Erst auf der letzten Stufe wartet ein eigenes Zuhause. In Finnland wartet es nun auf der ersten. [...]