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Du bist, was du isst

Politisiertes Essen und Identität

Immer mehr junge Leute verzichten auf Fleisch und teilweise auch auf andere tierische Produkte. Bei vielen ist das mehr als eine alternative Ernährungsform, sondern hat auch politische, identitätsbildende und jugendkulturelle Aspekte. Diesem Phänomen ist die KiPPE nachgegangen.

Text: Sandy Feldbacher & Foto: Mark Dixon


Wer in den 1980ern, 1990ern oder 2000ern aufwuchs, suchte meist in den damals omnipräsenten Jugendsubkulturen Anschluss. Egal ob Punk, Hiphop, Gothic, Hippietum oder Grunge – mit der passenden Musik kamen auch identitätsstiftende Aspekte, die Orientierung bieten konnten. Wenn uns heute jugendliche KiPPE-Praktikant/innen in der Redaktion unterstützen, berichten diese meist, solche Subkulturen gebe es heute kaum noch, außer vielleicht hinsichtlich der eigenen Essensweise. Eine vegetarische oder vegane Ernährung war bereits in den vergangenen Jahrzehnten Aspekt einiger Subkulturen, beispielsweise in der Straight-Edge-Szene. Durch den bewussten Verzicht auf Alkohol, Tabak, Koffein und andere Drogen sowie Fleisch wollten sich die Anhänger/innen dieser Kultur von anderen Jugendlichen und älteren Punks abgrenzen, die damit rebellierten.
Heute sei die Ernährungsform allein – ohne weitere jugendkulturelle Elemente wie Musik oder Mode – sowohl Ausdruck einer jugendlichen Gruppenzugehörigkeit, einer politischen Haltung, aber auch eine politische Handlung selbst sowie Teil der individuellen Identität, heißt es dagegen in der sozialpsychologischen Studie „Awakening to the politics of food: Politicized diet as social identity“ (Aufbruch in die Politik des Essens: Politisiertes Essen und soziale Identität) von 2016. Ausgelöst werde die Politisierung und Identifizierung der eigenen Ernährungsweise meist durch die Auseinandersetzung mit Büchern, Videos, Broschüren und Internetquellen, durch direkte Konfrontation und emotionalen Erfahrung mit Grausamkeit gegenüber Tieren (z. B. Beobachtung eines Tiertransports) oder durch Freunde, Bekannte, Organisationen und andere Einflussquellen. Fast alle Teilnehmer der Befragungen zur Studie nannten ethische Gründe als Motivation, ihre Ernährung zu ändern, wobei hauptsächlich auf Tierleid verwiesen wurde. Etwa zwei Drittel erwähnten zusätzlich Gründe des persönlichen Wohlbefindens und der Gesundheit. Einige verwiesen außerdem auf eine Ablehnung der Praktiken weltweit operierender Nahrungsmittelkonzerne. Ethische Motive sind folglich klar dominant. Mehr als 70 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Ernährung ein fester Teil ihrer Identität sei, an dem sie auch gegen Widerstände festhalten. Einige berichteten zudem von einer Veränderung ihres sozialen Umfeldes durch ihre neue Ernährung. Die feste Einbettung von veganer Ernährung in ein übergeordnetes ethisches Überzeugungssystem und in das Selbstkonzept führt offenbar dazu, dass sie zu langfristigen Ernährungs- und Lebensweise vor allem junger Menschen wird. [...]