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Nicht für eine Party zahlen, auf der man gar nicht war

Interview mit Janine Wissler (Die Linke)

Im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Anlass also, die im Parlament vertretenen Parteien nach ihren Standpunkten und kommenden Strategien zu befragen. Außerdem: Welche wichtigsten Aufgaben sind anzupacken? Zum Abschluss unserer Gespräche diesmal ein Interview mit Janine Wissler, Co-Parteivorsitzende und Co-Spitzenkandidatin der Linken zur Bundestagswahl. Die Interview-Reihe ist eine gemeinsame Aktion mehrerer Straßenzeitungen in Deutschland. Die Initiative dazu ging dankenswerterweise von der Hinz&Kunzt, dem Hamburger Straßenmagazin, aus.

Interview: Annette Bruhns & Foto: © Lena Uphoff


Hinz&Kunzt: Frau Wissler, als Spitzenkandidatin einer Partei, die für soziale Gerechtigkeit steht, dürften Sie gerade bei StraßenzeitungsverkäuferInnen Erwartungen wecken. Was würden Sie für obdachlose Menschen tun, wenn Sie in die Regierung kämen?
Janine Wissler: An erste Stelle müssen wir Wohnungen vermitteln. Wir setzen uns außerdem dafür ein, dass Menschen ohne Krankenversicherung medizinisch behandelt werden. Das hat für mich Priorität: Housing First und die medizinische Versorgung, und zwar jetzt. Denn durch die Coronakrise hat sich die Lage obdachloser Menschen noch zugespitzt.

Wenn das Wahlergebnis für Rot-Rot-Grün reicht, könnten Sie Vizekanzlerin werden. Doch die Linke legt die Latte für eine Regierungsbeteiligung hoch: Sie fordert eine Auflösung der Nato und ein Ende der Bundeswehr-Kampfeinsätze im Ausland. Weshalb sollten Menschen Sie wählen, fragt „Trott-war“ aus Stuttgart, wenn sie sich nicht darauf verlassen können, dass Sie Verantwortung übernehmen würden?
Regieren ist kein Wert an sich. Wir wollen wirklich etwas durchsetzen. Wenn es Mehrheiten gibt für eine gerechtere Steuerpolitik, für Umverteilung, für bezahlbare Mieten und gut entlohnte Pflegekräfte, sind wir natürlich bereit, in eine Regierung einzutreten. Für ein „Weiter so“ sind wir nicht zu haben.

Anders gefragt: Glauben Sie, dass potenzielle WählerInnen Verständnis dafür haben, wenn Sie rote Linien für eine Regierungsbeteiligung ausgerechnet in der Außenpolitik ziehen?
Die Linke ist konsequent als Friedenspartei, aber die Auflösung der Nato ist keine Entscheidung, die eine deutsche Bundesregierung alleine treffen kann. Sie kann aber den Rüstungsetat senken, der seit 2014 um 35 Prozent gestiegen ist – sogar im Corona-Jahr noch um 8,4 Prozent! Wir sind gegen das Nato-Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben. Statt in Waffen wollen wir in Soziales, in Bildung und Klimaschutz investieren. Sicher muss man Kompromisse eingehen, aber die müssen in die richtige Richtung gehen. Schwache gegeneinander auszuspielen, etwa das Asylrecht zu verschärfen, um dafür an anderer Stelle soziale Verbesserungen zu erreichen, geht für uns nicht. Wir brauchen internationale Solidarität mit Kriegsflüchtlingen, wie mir kürzlich bei einem Besuch im Geflüchtetenlager auf Lesbos wieder sehr bewusst wurde. [...]