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Zeit der Dunkelheit

Bei Einbruch der Dunkelheit: Wie sich Frauen* im öffentlichen Raum nachts sicherer fühlen können

Text: Alea Rentmeister & Foto: Elijah O‘Donnell/Pexels


Noch ein Schlagloch: Mein Rad antwortet mit lautem Rumpeln. Nachts ist hier kaum jemand unterwegs, nur Autos rauschen über den Schleußiger Weg. Im Licht einer Laterne sehe ich zwei Jungs, die mir entgegenkommen. Ich schätze sie auf 18 oder 19, sie wirken betrunken. Als ich vorbeifahren will, brüllt einer: „Ey du! Willst du f*cken?“ Sie lachen. Ein dummer Spruch, im Suff gemacht. Aber in diesem Setting – verlassener Weg, sie zu zweit und ich alleine – schrillen in meinem Kopf direkt die Alarmglocken. Ich weiche in großem Bogen aus und trete in die Pedale. Zuhause bin ich verschwitzt – und wütend. Ich bin gerne nachts unterwegs, fühle mich in Leipzig sicher. Aber es braucht nur einen blöden Kommentar oder jemanden, der zu dicht hinter mir läuft, dann kippt meine Stimmung und ich beginne meine Handlungsmöglichkeiten durchzurechnen. Denn ich habe früh beigebracht bekommen: Wenn ich als Frau nachts alleine unterwegs bin, bin ich irgendwie verletzlich, gefährdet, ein potenzielles Opfer.

Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum ist Alltag: In Deutschland hat jede fünfte Frau in ihrer Stadt schon Gewalt, Verfolgung oder Bedrohung erlebt – so eine Umfrage von Plan International aus 2020. Zuletzt hatte ein Femizid die Debatte über die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum erneut angestoßen: Im März hat der Polizist Wayne Couzens die Londonerin Sarah E. auf ihrem Nachhauseweg entführt und getötet. Nicht nur der Mord, auch die Reaktion der Londoner Polizei löste eine Welle der Entrüstung aus: Die hatte Frauen geraten, vorerst besser zuhause zu bleiben. Unter dem Hashtag #ReclaimTheseStreets („Holt euch diese Straßen zurück“) begannen Frauen in den sozialen Netzwerken zu protestieren und Erfahrungen mit Belästigung und Gewalt im öffentlichen Raum zu teilen.

Die Autorin und Feministin Lea Sauer spricht sich dafür aus, Gewalt gegen Frauen ernst zu nehmen, sich aber als Frau nicht in eine gesellschaftliche Opferrolle drängen zu lassen: „Wenn ein Mann nachts rausgeht, sagt niemand: ‚Pass auf und ruf mich an, wenn du zuhause bist‘. Als weibliche Person hört man diese Sätze immer. Wir müssen die Aufmerksamkeit darauf richten, dass es im öffentlichen Raum Femizide gibt – gleichzeitig müssen wir uns den Raum trotzdem nehmen, dürfen uns nicht einschüchtern lassen, sonst finden wir uns in einer ohnmächtigen Position wieder“. Sauer ist Mitherausgeberin von „FLEXEN. Flâneusen* schreiben Städte“, einem Sammelband über Stadterfahrungen von Frauen, People of Color und queeren Menschen. Mit dem Kollektiv „Flexen“ macht sie außerdem performative Interventionen im Stadtraum. Ich verabrede mich mit ihr auf einen Spaziergang. [...]