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Entdeckung Natur

Stadtstille & Käferalarm

Corona und der damit verbundene Lockdown hatte unser übliches Leben weitgehend zum Stillstand gebracht. Zurückgezogenheit in den eigenen vier Wänden war angesagt. Belastend besonders für Familien mit Kindern und für ältere Menschen. Doch hat es auch andere Auswirkungen gehabt? Zum Beispiel für die Natur und wie wir die Natur neu erleben? Der Drang war und ist groß, die Zeit im Freien zu verbringen, statt sich einzuigeln. Balsam für die Seele finden. Viele, die für die Natur sonst nicht viel übrig hatten, haben sie nun schätzen gelernt. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht nur vorübergehend ist. Sicher, die Natur konnte sich erholen, doch es gibt auch eine Kehrseite.

Text & Foto: Björn Wilda


Wer ein Gartengrundstück hat, kann sich glücklich schätzen. Wie die mir bekannte Familie mit ihren beiden Kindern (Sohn 5, Tochter 2 Jahre alt). So oft, wie es möglich ist, geht es raus aus der Stadt an die Peripherie, wo Spielwiese, Erdbeerbeet, Blumen, Löwenzahn, Sandkasten und Kletterbaum locken. Zwischendurch immer wieder eine Abkühlung im kleinen Pool oder mit dem Gartenschlauch. Beim kleinen Sohn heißt es manchmal „Käferalarm!“. Die kleinen Krabbeltiere haben es ihm angetan, stolz präsentiert der Junge dann seinen Fund in der Runde und lässt ihn über die Hand laufen. Und als er mit Mama, Oma und Opa im Urlaub war, da gab es zwischen Felsen und Hügeln noch ganz andere Tiere zu entdecken, die er außer im Zoo noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Freilaufende, braune Ziegen zum Beispiel, die sich bei einer Rast der Vier über den Proviant hermachen wollten. Abenteuer pur für den Kleinen. Oder die vielen Hahnenrufe morgens beim Aufstehen! Wo bitte schön, hört man in einer Großstadt wie Leipzig noch das Krähen von Hähnen und das Gackern von Hühnern? Bleiben wir mal bei den Gefiederten. Die Singvögel haben es im Großstadtlärm nicht gerade leicht, sich zu verständigen. Und wir haben es nicht gerade leicht, sie zu hören. Bis der Straßenverkehr fast ruhte. Ich erinnere mich noch an den ersten Lockdown im März/April 2020. Samstagmittag durch eine tote Gottschedstraße zum Ring. Fast absolute Stille. Auf dem Dittrichring kein Auto, ab und zu mal eine nahezu leere Straßenbahn. Man hätte auf dem Ring spazieren gehen können. Ein surrealer Moment. Doch die Stille war relativ, denn zu hören waren nun Amsel, Sperling und die aus dem Winterquartier zurückgekehrten Stare. Sie alle brauchten sich nun nicht so sehr anstrengen …

Ein anderes Bild aus dem vergangenen Winter, mitten im dritten Lockdown: Außer Einkaufen im Supermarkt ging gar nichts. Oder doch? Sehr viele Leute haben den täglichen Spaziergang für sich entdeckt, gerade abends nach dem Homeoffice und trotz Schnee und Kälte. Es war die einzige Möglichkeit, im Freien mal auf andere Leute zu stoßen – natürlich immer mit Abstand – und zu erleben, wie mit hereinbrechender Dunkelheit der Himmel sich veränderte, Eiskristalle die Bäume und Hecken verwandelten oder Lichter sich im Flusseis spiegelten. Mit einem Mal war der Blick frei für solche Erscheinungen. Jener Winter dürfte noch nie so viele Flaneure östlich des Elsterbeckens mit dem Richard-Wagner-Hain erlebt haben. [...]