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Vielverdiener sollen mehr Steuern zahlen – auch ich

Interview mit Olaf Scholz (SPD)

Im September wird ein neuer Bundestag gewählt. Anlass also, die im Parlament vertretenen Parteien nach ihren Standpunkten und kommenden Strategien zu befragen. Außerdem: Welche wichtigsten Aufgaben sind anzupacken? Weiter geht es in unseren Gesprächen, diesmal mit Olaf Scholz, Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD. Die Interview-Reihe ist eine gemeinsame Aktion mehrerer Straßenzeitungen in Deutschland. Die Initiative dazu ging dankenswerterweise von der Hinz&Kunzt, dem Hamburger Straßenmagazin, aus.

Interview: Annette Bruhns & Foto: © Lutz Jäkel / laif


Hinz&Kunzt: Herr Scholz, dieses Interview führe ich für 20 Magazine, die in 20 deutschen Städten von Menschen ausgetragen werden, die obdachlos waren oder sind. Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt eine Straßenzeitung gekauft?

Olaf Scholz: Oh, das ist einige Zeit her! Das ergibt sich meistens, wenn ich in einem Restaurant sitze und eine Verkäuferin oder ein Verkäufer an meinen Tisch kommt. Seit Corona geht beides nicht.

Früher wählte vor allem der „Kleine Mann“ Ihre Partei; heute ist der Anteil der WählerInnen aus einkommensarmen Schichten vergleichsweise gering. Fehlt es der SPD an Bodenhaftung?
Nein, im Gegenteil. Wie oft habe ich an Info-Ständen die Klage gehört: „Um einen wie mich geht‘s ja nicht.“ Doch! Wir machen Politik für dich! Das ist der Grund, warum ich überhaupt in der Politik bin. Die Corona-Krise ist da auch eine Chance: Denn der Beifall für die Corona-HeldInnen darf nicht einfach nur verhallen, die Anerkennung muss sich auch im Portemonnaie niederschlagen. Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der diejenigen, die in einem schicken Viertel ihren Café Latte trinken, sich mit denen politisch verbinden, die ihnen den Kaffee an den Tisch bringen. Die Theater-Regisseurin ist genauso Teil der Gesellschaft wie der Altenpfleger oder die Ingenieurin. Wenn ich Kanzler werde, wird als einer der ersten Entscheidungen der Mindestlohn auf mindestens 12 Euro angehoben. Wir stehen für bessere Löhne und sichere Arbeitsplätze: in der Pflege, an den Discounterkassen, in den Logistikzentren.

678 000 Menschen haben laut der letzten Schätzung hierzulande keine eigene Bleibe – doch Ihr Wahlprogramm erwähnt wohnungslose Menschen nirgends. Sind das keine Wähler für die SPD?
Natürlich taucht das Thema Wohnungsnot in unserem Programm auf. Wir setzen uns massiv dafür ein, dass in Deutschland mehr Wohnungen gebaut werden, bezahlbare Wohnungen. Bevor ich in Hamburg Bürgermeister wurde, habe ich verlangt, dass wir viel mehr Wohnungen bauen müssen, weil viele unter den steigenden Mieten sehr leiden. Wir haben den Wohnungsbau in Hamburg richtig angekurbelt, mit 10 000 Baugenehmigungen pro Jahr – ein Drittel Eigentums-, ein Drittel Miet- und ein Drittel Sozialwohnungen. Als Bundesfinanzminister habe ich mit durchgesetzt, dass eigens das Grundgesetz geändert wird, damit der Bund den sozialen Wohnungsbau weiterhin unterstützen kann. Mein Ziel: 100 000 neue Sozialwohnungen in Deutschland pro Jahr. Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit. [...]