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Wohnen ist ein Menschenrecht

Jens D. wurde im Dezember 2015 durch eine Zwangsräumung obdachlos. Wie bei vielen kam es aufgrund persönlicher Gründe dazu: Eine Trennung und Langzeitarbeitslosigkeit ließen ihn resignieren, so dass er seinen Hartz-IV-Antrag nicht mehr verlängerte. Er geriet mit der Miete in Rückstand und saß schließlich auf der Straße. Heute, zweieinhalb Jahre später, hat er wieder eine eigene Wohnung und sucht einen Job. Unterstützt wurde und wird er durch das Ambulant Betreute Wohnen (ABW) des Caritasverbandes Leipzig, das 2019 sein 20. Jubiläum feiert. Die KiPPE sprach mit ihm sowie ABW-Teamleiterin Andrea Birkner und Sozialarbeiter Lukas Pötter.

Text: Alicia Müller und Sandy Feldbacher & Foto: Sandy Feldbacher


Das ABW des Leipziger Caritasverbandes sitzt am Peterssteinweg in hellen und freundlichen Räumlichkeiten. Andrea Birkner, die seit 2000 als Sozialarbeiterin für das Projekt tätig ist und seit rund sechs Jahren die Teamleitung innehat, erzählt, dass das Team mit den Jahren gewachsen sei. Allerdings gibt sie zu bedenken: „Wenn in der Wirtschaft etwas wächst, dann ist das ein Erfolg. Doch wenn im sozialen Bereich etwas wächst, dann weist das auf eine Not hin.“ Der Bedarf an sozialpädagogischer Einzelfallhilfe sei in der Messestadt folglich gestiegen. Wie genau sieht dieses Unterstützungsangebot aus? Die meisten der ABW-Klienten sind von einer Wohnungsräumung bedroht oder haben ihre Bleibe bereits verloren und sind bei Familie, Freunden oder Bekannten untergekommen. Bei einer Neuaufnahme geht es zunächst um die Existenzsicherung, erklärt Lukas Pötter: „Woher beziehen sie ihre Einnahmen oder Leistungen, wurde bereits etwas beantragt oder steht das noch aus? Haben die Betrofnichtfenen Schulden? Wurden sie vom Jobcenter sanktioniert? Daneben schauen wir auf die aktuelle Wohnsituation. Wenn bereits eine Kündigung oder gar eine Räumungsklage vorliegt, steht der Wohnungserhalt an oberster Stelle. Ansonsten muss eine neue Wohnung gesucht werden, doch für unsere Klientel ist das aktuell schier unmöglich.“ Ist die zu betreuende Person in Sachen Existenz und Wohnraum abgesichert, werden weitere Felder wie soziale Kontakte, Gesundheit und Arbeit in den Blick genommen – je nach den individuellen Bedürfnissen. Jens D. ließ sich irgendwann von der Beratungsstelle „Vier Wände“ im Sozialamt, wo er in der Zeit seiner Obdachlosigkeit eine Postadresse hatte, zum Ambulant Betreuten Wohnen vermitteln. Ein erstes Treffen wurde mit einer Mitarbeiterin des Sozialamtes und einer Sozialarbeiterin des ABW vereinbart. Jens war erst skeptisch, aber das Gespräch lief zufriedenstellend. Er fühlte sich gut beraten und stimmte der Betreuung durch das ABW für zunächst ein Jahr zu. Mittlerweile war er in der Wohnung einer Bekannten untergekommen. Nun nahm Jens gemeinsam mit Sozialarbeiterin Anna-Maria Siewior die Suche nach einer eigenen Wohnung in Angriff. Diese gestaltete sich schwierig. „In Leipzig gibt es generell einfach zu wenige Wohnungen, vor allem im niedrigen Preissegment“, moniert Lukas Pötter. Wenn man seine Wohnung einmal verloren habe, finde man nur sehr schwer wieder eine neue. Das wisse auch die Kommune, weshalb sie mittlerweile Mietschulden als Darlehen übernehme, um Wohnungsverlust zu vermeiden und bei Einzug in eine neue Wohnung Menschen mit z. B. Schufa-Einträgen eine Bürgschaft in den ersten Monaten anbiete. Andrea Birkner beobachtet zusätzlich eine generelle Veränderung der Klientel: „In den letzten Jahren gab es eine Verschiebung von älteren alleinstehenden Herren hin zu Familien, Alleinerziehenden und Senioren.“ Wenn Kinder im Spiel sind, ist die Stadt Leipzig ordnungsrechtlich dazu verpflichtet, ihnen eine Gewährleistungswohnung zur Verfügung zu stellen. Die Suche nach einer großen Wohnung gestalte sich als besonders schwierig, ebenso wie die nach Einraumwohnungen, wie auch Jens D. erfahren musste. [...]