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Tram vs. Kuhweide

Durch ein Studium oder eine Ausbildung verlassen viele junge Menschen nach dem Schulabschluss ihre Heimat und ziehen in neue, oft größere Städte. Auch mich hat es vor drei Jahren als Wahl-Leipzigerin hierher verschlagen – vom 100-Einwohnerdorf im Thüringisch-Fränkischen direkt in die Großstadt. Die verschiedenen Lebensbereiche Stadt und Land werden immer wieder gern miteinander verglichen und abgewogen. Hier meine persönliche Pro- und Contra-Liste.

Text: Alicia Müller & Foto: Tobias Nickel

Es ist schon ein Unterschied. Selbst wenn man an diese Einwohnerzahl von 100 noch drei Nullen heranhängt, hat man noch lange nicht alle Leipziger zusammen. Hier leben wirklich wahnsinnig viele Menschen, die ich alle nicht kenne. Im Gegensatz zu meinem Heimatdorf: Hier kennt jeder jeden und binnen kürzester Zeit haben Gerüchte alle Haushalte erreicht. So schön es auch ist, in so einer vertrauten, kleinen Umgebung groß zu werden, man lernt die Anonymität in einer Großstadt schnell zu schätzen. Niemand kommentiert all deine Taten und Entscheidungen, du entscheidest selbst, was du wem erzählst und keiner schaut dich wegen deiner optischen Eigenheiten krumm an.

Man muss sich in Leipzig nicht nur um Vorurteile keine Sorgen machen, sondern auch nicht darum, ob man rechtzeitig von A nach B kommt. Öffentliche Verkehrsmittel, die im 5–10 Minutentakt fahren, sind hier ganz selbstverständlich. Da können die Regio-Bahn, die alle zwei Stunden in jeweils eine Richtung fährt und der „Halb-Zweier-Bus“ nicht wirklich mithalten. Ohne eigenen Führerschein sieht es schwarz aus und nachts erst recht: „Mama, kannst du mich gegen 1 Uhr bei der Party drei Dörfer weiter abholen?“ oder „Habt ihr vielleicht heimwärts noch drei Plätze im Auto frei?“, sind Standardsätze. Muss man nachts dann doch mal zu Fuß oder mit dem Rad nach Hause, wird eine Funktion am Handy ganz essentiell: die Taschenlampen-App. Gegen 23.30 Uhr werden nämlich die Lichter ausgeknipst und die Bordsteine hochgeklappt. „Zappenduster“ nennt man das. Doch mit einem Blick gen Himmel bekommt man in klaren Nächten etwas Unterstützung. Denn ohne all die künstlichen Lichter sind auf einmal ein Sternenmeer und mit ein bisschen Glück auch der Vollmond am Himmelszelt zu sehen. Nächtliche Helligkeit – ein Widerspruch, wie er nur auf dem Land erfahrbar ist.
Auch ein Shopping-Trip wird in der ländlichen Gegend eher schwierig, während Leipzig mit den Höfen am Brühl, den Bahnhof-Promenaden und allen anderen Centern mehr als genug Auswahl bietet und das auf schnellem, unkompliziertem Wege! Eher schwierig gestaltet sich auch der ein oder andere Schulweg, denn wenn ein halber Landkreis befördert werden soll, wird daraus manchmal eine längere Busreise. [...]