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Raus aus der Einsamkeit

Königsdisziplin Alleinsein

Die Autorin Anja Rützel hat ein Buch über Einsamkeit geschrieben. Sie findet, dabei handelt es sich um ein Gefühl mit Imageproblem. Rützel schätzt ihr Solo-Leben sehr und erklärt in ihrem Buch mal witzig, mal tiefgründig, warum. Die KiPPE hat ein paar der spannenden Thesen aus „Lieber allein als gar keine Freunde“ zusammengefasst.

Text: Sandy Feldbacher & Foto: Dagmar Franke


Die Neigung zum Alleinsein war bei Anja Rützel schon immer vorhanden, schreibt sie. Dass sie diese bereits seit einiger Zeit konsequent auslebte, wurde ihr allerdings erst bewusst, als ihr Hund starb. In dem Moment fiel der Autorin auf, dass ihre sozialen Kontakte immer überschaubarer geworden waren. Aber das erschien ihr nicht nur negativ: „In helleren Momenten war das Alleinsein wie ein Paar gut getragene Schuhe, die so wunderbar passen, dass man gar nicht mehr über sie nachdenkt, sondern jeden Tag wie selbstverständlich reinschlüpft“. Ihr kam der Gedanke, dass der Mensch vielleicht gar kein Gruppentier sei. Auf der anderen Seite würden z. B. laut Studien des US-amerikanischen Psychologenverbandes Einsamkeit und Alleineleben einen verfrühten Tod begünstigen. In Großbritannien gibt es deshalb seit Kurzem sogar ein Einsamkeitsministerium. Die negativen Aspekte sind also belegt und auch die Autorin verschweigt sie nicht. Doch was ist mit den positiven? Ratgeber haben sich nahezu ausnahmslos die Ausrottung der Einsamkeit zur Aufgabe gemacht und Menschen, die viel allein sind, werden sogar merkwürdig beäugt: „Verbringe ich gerne und viel Zeit allein in meiner Wohnung, finden Menschen das komisch. Würde ich mit demselben Zeitaufwand alleine den Atlantik überqueren, fände man das sehr wahrscheinlich bewundernswert. Das Alleinheitskontingent wäre bei beiden Aktivitäten dasselbe.“

Doch bevor wir zu den positiven Aspekten kommen, zunächst zum Begriff. Für mich impliziert „Einsamkeit“ die Sehnsucht nach „Mehrsamkeit“. Ganz anders sieht das Anja Rützel: „Ich nenne meinen Hauptzustand: alleinsam sein. Nicht so unproblematisch und flockig, wie der fast neutrale Begriff ‚allein‘ vermitteln würde, nicht so düster wie das Label ‚einsam‘. Inzwischen trenne ich die Begriffe ‚allein‘ und ‚einsam‘ allerdings auch nicht und verwende sie meistens synonym, weil ich beschlossen habe, nicht mehr dabei mitzumachen, die Einsamkeit als Finstergefühl zu stigmatisieren.“

Eigenartig findet die Autorin, dass vor dem Hintergrund allgegenwärtiger Selbstoptimierungsbestrebungen dem Alleinsein nicht mehr Bedeutung beigemessen wird: „Unsere Gesellschaft feiert Unabhängigkeit und persönliche Freiheit, jeder will sich individuell fühlen und sich selbst verwirklichen – nur alleine will bei diesen extrem persönlichen Entwicklungen niemand sein. Ständig soll man netzwerken, aber der Softskill Alleine-sein-Können wird einem nirgends antrainiert. Viele Menschen, die ich kenne, sind darin schlecht, sie haben keine Erfahrung, weil sie jede Chance meiden, in diesem Bereich Fähigkeiten zu entwickeln. Sie gehen nicht in Filme, wenn sie keinen finden, der mitkommt, sie testen das neue Restaurant nicht, weil sie die Einzigen in ihrer Freundesgruppe sind, die gerne Ramen essen. Sie halten keine Lücken aus (….)“, schreibt die Autorin in ihrem Buch. [...]