logo2016

Unser süßes Leben

Der Zucker und seine vielen Gesichter

Die nächste Advents- und Weihnachtszeit steht vor der Tür. Und damit die Zeit besonders vieler süßer Versuchungen. Allein der Geruch von Plätzchen, Stollen & Co. ist zu verlockend. Klar, Zucker gehört dazu, und oft nicht zu wenig. Zucker-Zeiten eben. Doch neben Fett wird wohl über kein Nahrungs- bzw. Zusatzmittel so heftig und auch widersprüchlich reflektiert wie über Zucker. Es geht nicht darum, ihn zu verdammen. Obwohl er inzwischen mit einer Droge gleichgesetzt wird. Die Herkunft und der Gebrauch macht’s.

Zusammenstellung und Text: Björn Wilda & Foto: BirgitH_pixelio.de


Von Nasir-i Chusrau, einem persischen Dichter und Philosophen des Mittelalters, stammt der Spruch: „Die Welt scheint schmackhaft, schmeckst du einmal sie, wie Milch und Zucker und wie Mandeln süß. Doch dem Vernünft‘gen scheinen ihre Reize wie Gift und Galle, wenn er sie dann schluckt.“ Wir können wohl davon ausgehen, dass der weitgereiste Mann zu jener Zeit noch nichts wusste (oder doch?) über die Gefahr des Süßen im medizinischen Sinne – jedoch über Gefahren in der Welt schlechthin. Zucker ist wichtig für den menschlichen Organismus – wie Fette oder Vitamine. Doch Zucker ist eben nicht gleich Zucker. Zucker kommt in verschiedenen Arten, Formen, Körnungen und Bezeichnungen vor. Er wird aus Pflanzen gewonnen und besteht größtenteils aus Saccharose. Daher leitet sich auch der Name „Zucker“ ab. Wir kennen den üblichen Zucker aus zwei Quellen (wenn man mal von Fruchtzucker absieht): aus der Rübe und aus dem Rohr. Wobei alles mit Letzterem begann. Zuckerrohr gelangte schon 6000 v. Chr. von Polynesien und Ostasien nach Indien und Persien. Bei den alten Römern sowie im Mittelalter war Zucker noch ein absoluter Luxusartikel und blieb daher nur den Reichen vorbehalten. La dolce vita für den Patrizier, für den Adligen, für den Kleriker.

So richtig in Schwung kam die Zuckerproduktion in großem Stil mit der Kolonialisierung. Überall, wohin die Europäer ihre Füße setzten, wurden auch Zuckerrohrplantagen angelegt, hauptsächlich jedoch auf den Westindischen Inseln. Das Übersee-Geschäft mit dem „weißen Gold“ blühte. Begehrtes hatte seinen Preis. Da entdeckte Mitte des 18. Jh. ein gewisser Andreas Marggraf, seines Zeichens ein Berliner Chemiker, dass die heimische Runkelrübe einen gewissen Zuckergehalt in ihrem Fleisch enthält und dass Zucker aus Zuckerrohr und aus Rübe chemisch identisch ist. Und wieder war es ein Berliner, in diesem Fall Marggrafs Schüler Franz Carl Achard, der fünfzig Jahre später die Technik zur Herstellung von Rübenzucker entwickelte. Ihm verdanken wir 1802 dann auch die weltweit erste Rübenzuckerfabrik, sie stand in Schlesien, was damals zu Preußen gehörte. Achards Engagement war durchaus auch ethisch motiviert. Er hasste die Sklaverei, die mit der Plantagenwirtschaft in den Kolonien verbunden war. Zudem hatte Napoleons Kontinentalsperre gegenüber englischen Waren dafür gesorgt, dass sich der Zuckernachschub aus Übersee nach und nach auflöste wie Würfelzucker im Kaffee. Das war für Europa die Stunde der Rübe. Doch noch gaben sich die englischen Zuckerbarone, die ihr Monopol bedroht sahen, nicht geschlagen. Sie versuchten es wie so oft mit Bestechung: So sollen sie Achard bis zu 200 000 Taler für den Fall geboten haben, wenn er seine Versuche ad acta legen würde. Von dem Geld hätte der wackere, bis 1821 lebende Achard ganz gut leben können. Zum Vergleich: Als Weimarer Geheimrat betrug Goethes Ministergehalt 3 100 Taler im Jahr, damit gehörte der Dichterfürst zu den Spitzenverdienern jener Zeit. [...]