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Nachbarschaft 2.0

Der Fremde von nebenan

Wissen Sie wer bei Ihnen nebenan wohnt? Nein? Dann geht es Ihnen wie vielen Ihrer Nachbarn. Die Urbanisierung und der stetig größer werdende Zwang räumlich flexibel zu sein, entfremden Menschen immer weiter voneinander. Oft wird das Internet und insbesondere Social Media Plattformen für dieses immer weniger Werden persönlicher Kontakte verantwortlich gemacht. Doch auch das Gegenteil ist möglich, wie dieser Artikel zeigt.

Text: Jessica Sobanski & Foto: Pixabay


Mit der Industrialisierung begannen die Städte immer schneller zu wachsen. Zahlreiche Bauern verließen ihre Felder und dörflichen Gemeinschaften und zogen in die Städte, um in den neu entstandenen Fabriken Arbeit zu finden. Diese Arbeit war freilich kaum leichter als die Landarbeit, die Arbeitsbedingungen prekär. Gewerkschaften und deren Errungenschaften, wie die Fünf-Tage-Woche, Arbeitsschutz oder Anspruch auf Urlaub, lagen noch in weiter Ferne. Dennoch zog es die Menschen in der Hoffnung auf ein besseres Leben mehr und mehr in die Städte.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts lebte bereits über die Hälfte aller Menschen in Städten, bis 2050 sollen es, laut einer Prognose der Vereinten Nationen, sogar knapp 70 Prozent sein. In Deutschland leben bereits heute über drei Viertel aller Menschen im urbanen Raum. Doch auch wenn wir hier auf sehr viel engerem Raum zusammen leben als in ländlichen Gebieten, führt die zunehmende Urbanisierung nicht etwa zu einer Annäherung untereinander, sondern im Gegenteil zu einer gegenseitigen Entfremdung.

Auch heute ist es die Arbeitswelt, welche wesentlich über unser Zusammenleben mitbestimmt. Die Menschen müssen immer flexibler sein, auch räumlich. Häufig entscheidet nicht mehr der Wohnort über unseren Arbeitsort, sondern umgekehrt: Wir müssen dort hinziehen, wo wir Arbeit finden und das bedeutet oft einen Umzug in die Stadt. Gerade in manchen ostdeutschen Regionen besteht eine regelrechte Landflucht. Dies führt partiell zu einer recht hohen Fluktuation in den städtischen Mehrfamilienhäusern. Kaum noch jemand lebt zehn oder gar zwanzig Jahre in derselben Mietwohnung, manchmal wechseln die Mieter so häufig, dass nicht einmal mehr Namen an den Klingelschildern stehen. Gerade in Hochhäusern sind diese oft lediglich mit Nummern versehen. So wird ein anonymes Nebeneinanderherleben befördert anstatt eines hausgemeinschaftlichen Zusammenlebens. [...]