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Das Spiel beherrschen, auch in der Unterzahl

Die einzige Straßenzeitung Russlands „Put Domoi“ (bis 2003 „Na Dne“) wurde vor 24 Jahren im bekanntesten Künstler-Zentrum Sankt Petersburgs, „Puschkinskaja, 10“, gegründet. Der Gründungsort bestimmt auch den Inhalt der Zeitung – all die Jahre bestand der Inhalt der Zeitung aus alternativen journalistischen und literarischen Werken sowie grafischen und fotografischen Projekten.

Text: Arkady Tyurin & Foto: Alexey Talipov


Die bekannteste russische Wochenzeitung Argumenti i Fakti (Auflage 5,5 Millionen) erklärte deshalb vor einigen Jahren, dass, in der „Put Domoi“ veröffentlicht zu werden, als Zeugnis für die professionelle Reife eines Autors zu werten sei. Kurze Zeit später wurde unsere Aufmachung unter die Top 100 der besten russischen Designs gewählt. Das bezog sich allerdings auf unser ganzes Zentrum, nicht nur auf die Zeitung.

Die wirtschaftliche Seite unseres Projekts ist auch nicht ganz gewöhnlich für die allermeisten Straßenzeitungen dieser Welt. Wir haben weder Sponsoren noch staatliche Unterstützung. Wir erwirtschaften unser gesamtes Geld selbst, und das ist unsere eigene Entscheidung – schließlich müssen wir bei uns selbst anfangen, wenn wir anderen beibringen wollen, über die Runden zu kommen, oder? Eine neue Ausgabe herauszubringen läuft dann normalerweise so: Als qualifizierte Fachleute erwirtschaften wir unser Geld parallel mit verschiedenen Projekten. Wir adaptieren Filme für Blinde, bereiten Ausstellungen vor, gestalten und editieren Bücher oder arbeiten als PR- und Krisen-Manager für NGOs, die selbst noch nicht so viel Erfahrung haben wie wir. Das auf diese Weise verdiente Geld wird dann für die Herausgabe einer neuen Nummer ausgegeben – und danach wieder eingenommen, wenn unsere Verkäufer beginnen, uns die Zeitungen abzunehmen.
Verkäufer haben wir eigentlich nicht viele, kaum ein Dutzend. Alle sind entweder schon sehr alt, invalide oder haben psychische Probleme. Denn für gesunde und nüchterne Obdachlose ist es in Sankt Petersburg durchaus möglich, über kurz oder lang eine ganz ordentliche, wenn auch illegale Arbeit zu finden. Und diejenigen, die das gar nicht wollen, kommen recht gut mit Hilfe von zahlreichen wohltätigen Organisationen zurecht, von denen sie Kleidung und Essen bekommen, welche sie dann zum Großteil wieder gegen Industriealkohol eintauschen. Deshalb landen bei uns all diejenigen, die zwar einen schwachen Körper, dafür aber einen starken Geist haben. Die schon einen großen Teil ihres Lebens hinter sich haben, die aber auch jetzt nicht ohne ehrliche Arbeit leben möchten. Und wir haben uns geschworen, sie bis zuletzt nicht hängen zu lassen – wir wer den weiterhin unsere Zeitung herausbringen, solange es mindestens noch einen Verkäufer dafür gibt. [...]