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Wohnen ist Menschenrecht

Derzeit schreibt das Sozialamt der Stadt Leipzig das Konzept zur Wohnungsnotfallhilfe fort. In diesem Rahmen fand dazu die erste Strategiekonferenz im Neuen Rathaus statt. Es sollten Handlungsbedarfe, Lösungsansätze sowie Umfang und Ziele der städtischen Angebote sowie die der freien Träger aufgezeigt und diskutiert werden. Beim Diskutieren darf es nicht bleiben. Die Zeit drängt. Preiswerte Mieten überall in Leipzig – das war einmal. Die Angst, die Wohnung zu verlieren, treibt längst nicht mehr nur die sozial Schwächsten um. Und die Zahl jener, die längst von Wohnungsoder Obdachlosigkeit betroffen sind, steigt.

Text: Björn Wilda & Foto: Frank Pöhler, Stadt Leipzig


„Es wird immer schwieriger, in Leipzig bezahlbaren Wohnraum zu finden oder zu halten“. Mit diesem Satz umschreibt Sozialbürgermeister Thomas Fabian den Wandel und die damit verbundene Besorgnis erregende Situation, der die Stadt, die auf 600 000 Einwohner zusteuert, unterliegt. Mit 984 Betroffenen ist 2017 ein neuer Höchststand bei akut Wohnungslosen in Leipzig erreicht. Das sind über 260 Fälle mehr im Vergleich zu 2007, eine Steigerung um fast 37 Prozent. Damit liegt Leipzig etwas unter dem Bundesdurchschnitt. Noch.
Fakt ist: Wohnen ist Menschenrecht und keine Alimentierung. Die staatliche Schutzpflicht für Obdachlose ergibt sich besonders aus Artikel 2, Absatz 2, Satz 1 Grundgesetz. Rechtsanwalt Karl-Heinz Ruder: „Der Schutzbereich dieses Grund- und Menschenrechts umfasst die Gesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen. In sozialer Hinsicht stellt die Obdachlosigkeit die schärfste Form sozialer Ausgrenzung dar. Ein Leben ohne Obdach ist menschenunwürdig.“ Wir haben es also mit einem verfassungsgemäßen Grundrecht zu tun, wenn es um ein menschenwürdiges Obdach geht – für alle Menschen in Deutschland, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Status.
Die Stadt hatte auf die eingangs beschriebene beunruhigende Entwicklung mit ihrem Konzept zur Wohnungsnotfallhilfe von 2014 reagiert. Natürlich gibt es Übernachtungshäuser für Frauen und für Männer, Tagestreffs, Notunterbringungen, Gewährleistungswohnungen, ambulant betreutes Wohnen, Beratungsstellen usw. Leipzig war bisher immer gut aufgestellt und ist es im Vergleich zu manch anderen Großstädten sicher noch immer. Dies hatte jedoch den Blick etwas verstellt, und Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst räumte ein: „Wohnungslosigkeit und Obdachlosigkeit ist in der Vergangenheit nicht groß beachtet worden.“ Ausdruck dessen ist u. a., dass es bisher nicht einmal genaue und jährlich erhobene statistische Angaben zu Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit gäbe und die Vernetzung/Kommunikation der Träger untereinander unzureichend sei, wie mehrmals auf der Konferenz festgestellt wurde. Natürlich werden von allen Einrichtungen der Leipziger Wohnungslosenhilfe Angaben zur betreuten Klientel und zu gewährten Hilfeleistungen erhoben und dokumentiert. Jedoch dient die Dokumentation dieser Daten oft lediglich der Abrechnung der erbrachten Leistungen. Eine einheitlich geführte Wohnungsnotfallstatistik steht in der Bundesrepublik nicht zur Verfügung. Aktuell gibt es damit kein einheitliches Messgrößen- und Kennzahlensystem. Deshalb auch ist die Vergleichbarkeit innerhalb der Stadt Leipzig mit anderen Städten so schwierig. Hier bleibt das Potenzial einer strukturierten Dokumentation noch weitgehend ungenutzt. Umso mehr, weil sich Rahmenbedingungen geändert haben und bisherige oben aufgezählte Maßnahmen diesen Bedingungen nun angepasst werden müssen. Da beispielsweise die Versorgung mit neuem und vor allem mit preiswertem Wohnraum schwieriger geworden sei, müsse, so Kador-Probst weiter, vorhandener Wohnraum erhalten bleiben. Die Situation wird verschärft durch Tendenzen wie: kaum sozialer Wohnungsbau, steigende Baukosten und Grundstückspreise, Zweckentfremdung von Mietwohnungen durch Übernachtungsportale, Luxusmodernisierungen, Neubau im hochpreisigen Segment usw. [...]