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Der Blick von außen

Eine Stadt, die nie still steht

Vom Schriftsteller, Slam-Poeten und Blogger André Herrmann stammt der Begriff „Hypezig“. Es war die Reaktion des gebürtigen Wittenbergers auf den medialen Run auf Leipzig der letzten Jahre. Herrmann fühlte sich genervt. Große Zeitungen wie die „New York Times“, der „Guardian“ oder die „ZEIT“ hatten sich auf die Stadt gestürzt und über ein Leipzig reflektiert, das wachse und wachse, Berlin als Szene-Metropole ablöse und unbedingt zu besuchen sei. Für Herrmann war das nicht mehr „sein“ Leipzig. Die Sicht von außen auf die Stadt und ihre Entwicklung ist eine diffizile Angelegenheit. Als langjährig in Leipzig Lebender hat der Autor des Beitrages so seine eigenen Erfahrungen gemacht.

Text & Foto: Björn Wilda


Um es gleich zu sagen: Ich bin ein gebürtiger Fischkopp (für mich überhaupt kein Schimpfwort), liebe die Ostsee und die Weite des Nordens, muss immer wieder mal dorthin. Trotzdem lebe ich nun seit über 38 Jahren in Leipzig. Als ich an einem nasskalten Novemberabend von Berlin kommend zum ersten Mal aus dem Hauptbahnhof trat, um meine Bahn zu finden, die mich zum Studentenwohnheim weit in den Süden der Stadt bringen sollte, fühlte ich mich wie auf einem anderen Stern. Die Luft roch seltsam rauchig, Leuchtreklamen flimmerten, ein Schriftband ließ Nachrichten-Sätze in gelben Punkten von rechts nach links an einer Häuserfassade wandern. Alles wirkte irgendwie kompakter als dieses Berlin mit seiner Endlosigkeit. Ich hatte auf den ersten Blick den Eindruck, als sei Leipzig vom Krieg verschont geblieben. Selbst die Straßenbahnen klangen anders als die an der Spree. Deshalb finde ich den Ausdruck „Bimmel“ der Leipziger für ihr Schienengefährt bis heute viel charmanter und liebevoller als dieses technokratisch klingende, süddeutsche „Tram“, das man uns zunehmend vor die Nase setzt.
Merken Sie was? Als Zugezogener habe ich von „uns“ geschrieben. Aus dem Bauch heraus. Wenn man fast 40 Jahre in der gleichen Stadt lebt, wächst auch ein gehöriges Stück Assimilation, im besten Fall Identifikation heran. Es wird aber nie sein, dass ich mich als echter Leipziger fühle. Das geht allein schon wegen des Dialekts nicht. Und nichts ist in diesem Zusammenhang alberner und peinlicher, als Sächsisch nachahmen zu wollen, um sich lieb Kind zu machen. Grauenhaft, was man da mitunter auch in Filmen oder Satiren zu sehen und zu hören bekommt.

Meine Gefühle für die Stadt (wenn man denn in diesem Zusammenhang von Gefühlen reden kann) und meine Sicht auf diese Stadt und ihre Menschen werden immer auch von meiner Vergangenheit geprägt sein, die etliche Ortswechsel seit der Kinderzeit kennt. Mit Leipzig hat mein Leben jedoch eine Koordinate von Dauer gefunden. Und das ist gut so.

Deshalb kann ich André Herrmanns Larmoyanz darüber, dass sein Leipzig nun zu glatt geworden und nicht mehr das sei, was es mal war, nicht ganz teilen. Dass er sich bemüßigt fühlte, der Stadt für einige Zeit den Rücken zu kehren – sei’s drum. Jeder soll seine Entscheidungen treffen, die er für richtig hält. Doch jede Stadt unterliegt nun mal Veränderungen, in welcher Art auch immer. Das ist kein spezifisches Leipziger Problem. Selbst Begrifflichkeiten können einen anderen Inhalt bekommen. Das „Hypezig“, das Herrmann als Kritik ins Spiel brachte, ist inzwischen zu Werbezwecken instrumentalisiert worden. Der Markt ist eben ein sehr schnell reagierendes Wesen und schert sich wenig um Nostalgie. [...]