logo2016

Kein Wohlstand für alle!?

Der Leipziger Stadtverband der Volkssolidarität lud am 9. Mai 2017 Interessierte zu einem sozialpolitischen Streitgespräch in die Stadtbibliothek ein. Im freundlichen Ambiente des dortigen Oberlichtsaales kam es zwischen Buchautor und Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Dr. Ulrich Schneider, und dem Leipziger Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Thomas Lenk zwar nicht zum angekündigten Wortgefecht, doch für eine Reform des Sozialstaates wurden realistische Vorschläge gemacht.

Text: Sandy Feldbacher & Foto: Martin Scheiblich


Grundlage für die Diskussion ist Dr. Ulrich Schneiders Anfang des Jahres erschienenes Buch „Kein Wohlstand für alle?! Wie sich Deutschland selber zerlegt und was wir dagegen tun können“ (Westend Verlag). Der Titel verweist auf jenen des einstigen Bundeswirtschaftsministers und Bundeskanzlers Ludwig Erhard, der darunter 1957 seine Vorstellungen zur Sozialen Marktwirtschaft darlegte und davon überzeugt war, dass „Wohlstand für alle“ möglich sei. Zu Beginn des Abends gibt Dr. Schneider einen Überblick über die wichtigsten Thesen seines Buches, das er aus der Angst heraus geschrieben habe, „dass Deutschland durch ein Maß an Ungleichheit auseinander fällt, das eine Gesellschaft nicht mehr aushält“.

Zerlegen, auseinanderfallen – das sind starke Begriffe, Schneider meint damit, dass „der Glaube an den wenigstens bescheidenen Wohlstand für alle, der unsere Republik so lange zusammengehalten hat“, zunehmend passé ist. In zweierlei Hinsicht unterfüttert Ulrich Schneider diese These: Angela Merkel behaupte stets, dass es Deutschland so gut wie noch nie gehe und verweise in diesem Zusammenhang auf die niedrige Arbeitslosenquote und auf die viertstärkste Volkswirtschaft der Welt, inklusive dem Exportweltmeistertitel. Schneider kritisiert, dass hierbei Rekorde der anderen Art aber unter den Tisch fallen: wie etwa sechs Millionen Hartz-IV-Bezieher, 330 000 Wohnungslose, 60 000 Obdachlose, eine Million Leiharbeiter oder einen Niedriglohnsektor, in dem heute mittlerweile jeder vierte Arbeitnehmer tätig ist. Außerdem ließen sich arme Menschen nicht nur auf die 15 % laut aktuellem Armutsbericht reduzieren, es seien auch die 40 %, die in Deutschland kein Vermögen oder gar Schulden haben und ebenfalls vom Wohlstand hierzulande nichts mitbekämen. Auf der anderen Seite gehöre den reichsten 10 % der Deutschen bereits je nach Studie 60 bis 75 % des gesamten privaten Vermögens. Vor diesem Hintergrund stecke Deutschland, so Schneider, auch in einer moralischen Krise: Armut werde heute mehr denn je vererbt. Hartz IV sei für viele Menschen eine Sackgasse und die öffentlichen Kassen sind leer, obwohl das Privatvermögen in den letzten Jahren um 30 % angestiegen ist.

Das alles sei Ergebnis eines kalten Neoliberalismus und hier sei, wie Schneider am Ende seiner Buchvorstellung bilanziert, ein Umverteilen nötig, um Deutschland zusammenzuhalten. Reiche sollen sich mehr einbringen, wofür es Reformen im Hinblick auf die Vermögens-, Erbschafts- und Einkommenssteuer geben müsse. Ferner sei das Rentensystem zu reformieren und ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt einzurichten. Der oft gestellten Frage hierzu, ob das alles finanzierbar sei, entgegnet Dr. Schneider: „Warum nicht?“ Er kritisiert im gleichen Atemzug die Volkswirtschaft als Glaubenslehre, in der gängige neoliberale Prämissen nicht mehr hinterfragt werden. Schneider ist der Meinung, es muss fair und gerecht zugehen, Arbeit müsse sich lohnen und wenn Volkswirtschaftler die Möglichkeit dessen verneinen, stimme etwas mit dem System nicht. [...]