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Tierisch, tierisch

Sie sind unter uns - Begegnungen der tierischen Art inmitten von Leipzig

Fahre ich mit dem Rad durch den südlichen Auwald Richtung Cospudener See, begegnet mir ständig ein Wolf. Einmal tauchte Isegrim sogar in sattem Pink auf. Ansonsten verhält er sich äußerst ungerührt und bleibt immer im gleichen Revier. Deshalb nennt sich jenes auch Wolfswinkel.
Ich geb’s zu, es ist kein echter Wolf, sondern nur in Sandstein gemeißelt. Aber gegeben hat‘s ihn hier leibhaftig tatsächlich einmal. Daran erinnert dieses auf einem Sockel stehende Tier und zu lesen ist: „Hier wurden im Jahre 1720 die letzten Wölfe gesichtet“. Danach war Schluss mit Wölfen im Leipziger Umland. Inzwischen sind die Vierbeiner, denen so viel Böses angehängt wird, wieder präsent – zumindest in der Lausitz und im Brandenburgischen. Ob er sich sogar mal (wieder) hierher verirren wird? Wer weiß…

Versteckspiel am Baum
Tiere in der Stadt – damit sind an dieser Stelle nicht die Exoten im Zoo, die Bewohner im Wildpark oder der Stubentiger in den eigenen vier Wänden gemeint. Immer mehr Wildtiere zieht es in die Nähe der Menschen. Je größer eine Stadt, desto vielfältiger ist ihr Tierleben. Im wachsenden Leipzig ist das nicht anders. Statt wie einst Wolf, Bär oder Elch tummelt sich nun anderes Getier mitten unter uns. Und es wird immer mehr.
Warum?
Mehr Futter dank Abfälle, sicherere Unterkünfte dank Menschennähe, besseres Klima dank Stadtwärme – so könnte man es auf den Punkt bringen. Die meisten von uns werden deshalb schon viele Begegnungen der tierischen Art gehabt haben. Da kommt einiges zusammen.
Unweit eines Parkplatzes an der AOK-Zentrale werde ich auf einen ungewöhnlich farbigen Burschen an einem schmalen Baumstamm aufmerksam. Sattgrüner Rücken, weißes Brustkleid, rote Haube, schwarze Gesichtsmaske. Kein Zweifel, es ist ein fast 30 cm großer Grünspecht. Wegen seiner Gesichtsfärbung nennt ihn der Volksmund auch „Fliegender Zorro“. Typisch für ihn ist sein lachender Reviergesang. Nun, dieser Zorro hat hier nicht gelacht, dafür übte er mit mir anderweitig seinen Spaß. Er spielte am Baumstamm Verstecken, als ich mich ihm näherte, drehte er sich um den Stamm, drehte ich mich auch, um ihn zu sehen, drehte er weiter. So ging das eine Weile. Hätte bloß noch gefehlt, wenn der kleine Kerl „Kuckuck“ gerufen hätte…
In Parks, Gärten und Obstplantagen fühlt sich der Grünspecht am wohlsten, und die Gartenanlage „Dr. Schreber“ war ja gleich nebenan.
Überhaupt, Gärten: Leipzig ist Kleingartenland. Ein Paradies auch für Tiere, gleich 278 Mal in der Stadt. So viele Kleingartenanlagen gibt es in der Stadt mit insgesamt über 39 000 Parzellen. Da läutet es in allen Tönen von Amsel, Nachtigall, Sprosser, Star, Rotkehlchen usw. Und es läutet ziemlich kräftig, weil sie ihr Verhalten verändert haben: Ornithologen haben nämlich herausgefunden, dass z. B. Nachtigallen und Kohlmeisen in der Stadt viel lauter und schriller singen als „draußen“. Die Experten vermuten, dass die Tiere das tun, um über den Stadtlärm hinweg zu singen und um sich verständigen zu können. Kein Witz: Stare und Amseln zwitschern plötzlich Handymelodien! Hören Sie beim nächsten Mal darauf, wenn es aus der Hecke klingelt und garantiert nicht Ihr Handy ist…
Hin und wieder höre ich mitten im Häusermeer hoch über mir einen kurzen Schrei, wenige Sekunden noch einmal. Dann weiß ich schon, es ist ein Reiher, ein Graureiher. Der gehört zum Stadtbild wie das Völkerschlachtdenkmal oder das City-Hochhaus. Leipzigs Auenlandschaft, die sich mitten durch die Stadt zieht, macht diesen Schreitvogel so präsent. Einige von ihnen scheinen Stammplätze zu haben. Etwa wenn ich auf dem Weg zur Arbeit bzw. retour immer wieder einen Graureiher auf einem abgestorbenen Ast im Teich im Johannapark sehe, sehr zum Staunen der Knirpse auf dem anliegenden Kinderspielplatz. Ich war schon drauf und dran, dem gefiederten Kerl, der reglos auf Fischbeute lauerte, einen Namen zu geben – und täglich grüßt das Reihertier. Andere Artgenossen lassen sich vom Trubel am Stadthafen überhaupt nicht stören und posieren auf dem Wehr des Elstermühlgrabens. Wenige Meter davon rauschen Autos und Straßenbahn vorbei. Noch bis in die 1970er Jahre war der Graureiher äußerst selten anzutreffen. Wegen Jagdverbot und besserer Klimaverhältnisse hat der Bestand wieder zugenommen, stellenweise nimmt er Überhand. Leipzig ist der Beweis. [...]