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Freie Zeit für Freizeit

Arbeit macht das Leben süß? - Warum Anerkennung nicht auf Lohnarbeit beruhen darf

„Ob sie einen Sinn hat,
ob sie schadet oder nützt,
ob sie Vergnügen macht –;
das ist alles ganz gleich.
Es muß eine Arbeit sein.
Und man muß morgens hingehen können.
Sonst hat das Leben keinen Sinn.“
(Kurt Tucholsky)

Angebetet wie ein Fetisch
Arbeitslosigkeit stellt eine der größten Sorgen der Deutschen dar. Die Agenda-2010-Politik hat sie verstärkt. Und das ist keine blinde Angst, sondern konkrete Furcht. Denn Hartz IV zu beziehen und davon leben zu müssen, ist kein Zuckerschlecken. Wenn das Lebensziel Arbeitsplatz – Motto: „Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit“ – für viele Menschen nicht erreichbar ist, muss mehr passieren als eine neuerliche Reform des Sozialleistungssystems. In einem Gesellschaftssystem, das ein Recht auf Arbeitsplatz gar nicht garantieren kann, muss die Synthese von Identität und Erwerbsarbeit, die Bindung sozialer Anerkennung an einen Job, hinterfragt werden.

André Gorz, der sich als Sozialphilosoph über Jahrzehnte mit der Veränderung der Arbeitsgesellschaft beschäftigte, forderte: „Deshalb müssen wir den Mut aufbringen, den Exodus aus der ,Arbeitsgesellschaft´ zu wagen. Sie besteht nicht mehr und kehrt auch nicht mehr zurück. Wir müssen sie begraben, statt ihr nachzutrauern, damit aus ihren Trümmern eine andere Gesellschaft entstehen kann. Und wir müssen lernen, hinter den unsere Gesellschaft prägenden Widerständen, Fehlschlägen und Sackgassen die Konturen dieser anderen Gesellschaft auszumachen. Die ,Arbeit´ hat ihre zentrale Rolle im Bewusstsein, im Denken und der Vorstellungskraft aller Menschen zu verlieren, wir müssen lernen, sie mit anderen Augen zu betrachten – nicht mehr als das, was man hat oder nicht hat, sondern als das, was wir tun. Wir müssen es wagen, uns die Arbeit wieder anzueignen.“

Für eine solche Wiederaneignung ist die Arbeit zuallererst ihres Fetischcharakters zu entkleiden. Erwerbsarbeit ist eben nicht die Bestimmung des Menschen, das sinnstiftende Element seines Daseins. Ist das erkannt, dann offenbart sich hinter der Krise der Lohnarbeit auch ein Freiheitsversprechen – das ist nicht zynisch gemeint. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen!“ Diese Aufforderung begleitet uns seit Kindestagen. Der Volksmund weiß: „Arbeit ist das halbe Leben.“ „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen“ (Luther), „Arbeit ist des Bürgers Zierde“ (Schiller). Kurzum: „Arbeit macht das Leben süß.“ Rainer Hank nennt die Arbeit zutreffend „Die Religion des 20. Jahrhunderts“. Wie einen Fetisch beten wir sie an, sie soll uns Sinn stiften. Für manche ist das Hamsterrad sogar eine Droge. [...]