logo2016

Weltnest Leipzig

Auszug aus einer Neuveröffentlichung zum Stadtjubiläum

Leipzig könnte einen eigenen Eintrag im Synonymlexikon haben, so viele Beinamen trägt die Stadt…

„Achthunderttausend Namen / hat diese Stadt. / Achthunderttausendmal spricht sie sich aus / im Wechsel zwischen Haß und Liebe“ (Walter Werner): Leipzig hat viele Namen und noch mehr Vergleiche abbekommen. Die Welt wurde dabei immer wieder bemüht, etwa im Lessing-Wort von der Stadt, „wo man die ganze Welt im Kleinen sehen kann.“ Nicht ganz so begeistert gab sich Historiker Heinrich von Treitschke: „Es ist aber, weiß Gott, zu scheußlich in diesem gottverfluchtesten aller elenden Nester.“ Die meisten Leipzighasser hielten jedoch einfach den Mund. Für Uwe Johnson war sie die „wahre Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik“ und Roger Rössing zieht den Regionalvergleich: „Wenn man von Dresden … nach Leipzig kam, fühlte man deutlich den Kontrast. Hier Provinz, Residenz, Enge – dort Weltläufigkeit, Offenheit, urbane Kraft.“ Pointiert meint Lyrikerin Kerstin Preiwuß: „In Leipzig liegt ja der Hund begraben wie die Welt.“

Irgendwas muss also dran sein an dieser Stadt, die Kurzzeitbesucher ins Schwärmen bringt und die auch regelmäßige Gäste wie manchen Dagebliebenen in Wallungen versetzt. „Endlich entschloß ich mich nach Leipzig zu gehen. Ich weiß wahrhaftig kaum anzugeben, warum? Kurz, ich bin hier“ (Heinrich von Kleist). Unbedingt beizupflichten ist Walter Jens: „Die Provinz und die Welt in friedlicher Symbiose.“ Viele schmückten die Stadt mit Be- und Zuschreibungen aus. Pleiß-Athen ist eins der bekanntesten Pseudonyme, das zuerst Aufklärungsphilosoph Pierre Bayle benutzt haben soll, um den Geist der Stadt, besonders den mit der Universität verbundenen, zu rühmen. Warum die Pleiße so prominent ist? Die Frage hat Schriftsteller Karl Julius Weber beschäftigt: „Die Pleisse aber ist ein so armseliges Wässerlein, daß es eher Elster- Athen heißen sollte – aber die Elster ist ein erzgeschwätziger Vogel!“
Etwas abgeschlagen ist „Klein-Venedig“: Leipzig verfügt über mehr Brücken als die Stadt der Gondeln. Daher ist es unklar, worauf sich das „Klein“ bezieht. Goethe hat über die „Stadt am Sumpfe“ gelästert, der Fehlinterpretation des tot zitierten Ausspruchs eines betrunkenen Studenten namens Frosch Keller im „Faust“ zum Trotz („Mein Leipzig lob ich mir…!“). Am Knoten von Parthe, Pleiße und Elster, im Dreistromland also, waren die Sümpfe einst sprichwörtlich. Die Pitsch-Patsche-Landschaft, die einst Napoleon Strapazen bereitete, ist trockengelegt. Heute würde – vom Sachsensumpf – niemand mehr vom Leben im Morast reden, dank fehlender Sperrstunde kann man aber herrlich versumpfen. Armutshauptstadt war sie lange Jahre, derzeit ist sie nur noch Vize hinter Dortmund. [...]