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Spielen und lügen

Murats steiniger Weg aus der Sucht mit dem Glückspiel

„Du bist nicht mehr mein Sohn!“ Das war wohl der schlimmste Satz, den sich Murat (Name von der Redaktion geändert) in seinem bisherigen Leben anhören musste. Der Zorn des Vaters entlud sich in jenem Moment, als er erfahren musste, dass sein Sohn rückfällig geworden war und jener das bisher ungebrochene Vertrauen seiner Eltern verletzt hatte. Murat war am Tiefpunkt angelangt…

Ein harmloser Anfang
Murat ist ein Familienmensch durch und durch. Sein ganzer Stolz ist seine anderthalbjährige Tochter. Und da sind seine besonnene Frau, die Eltern, die beiden jüngeren Brüder, die energische Tante, die anderen Verwandten. Und ihnen allen hatte er lange Zeit etwas vorgemacht. „Ja, ich hatte geradezu ein schauspielerisches Talent entwickelt“ sagt der 31-jährige junge Mann, „um meine Abhängigkeit, die ich als Sucht zunächst noch gar nicht empfand, zu verbergen.“

Es begann harmlos, mit Fußball. Der gelernte Kfz-Mechatroniker ist ein begeisterter Kicker, spielte in seinem Klub schon auf allen Positionen. Gleich um die Ecke, wo er damals wohnte, gab es ein ODDSET-Wettbüro. Er schaute sich Spiele an, sah wie andere wetteten und gewannen. Da machte Murat mal 2 Euro locker – und gewann auch. „Außerdem waren da ja noch diese bunten, blinkenden Daddelautomaten. Ich beobachtete die Spieler genau, sah was sie einsetzten.“
Das war vor vier Jahren, als dieser neue Reiz sich bei Murat einschlich. Finanziell nötig hatte er es nicht. Er ging bei DHL mit 1 500 Euro im Monat nach Hause, die Tochter war noch nicht geboren, die Verwandtschaft, die in Leipzig eine Dönerproduktion betreibt, hatte es zu gewissem Wohlstand gebracht. Alles bestens also.

Aber der Kick kam, als er mit 6 Euro wieder einmal das Büro betrat, 2 Euro in den Automaten warf und gleich mit 200 Euro wieder ging. „Davon habe ich 180 Euro zum Sparen auf die Seite gelegt und die restlichen 20 Euro für das nächste Zocken verwendet“, berichtet Murat. Er zieht an seiner Zigarette und lächelt. „Anfängerglück? Nee, ich war drei Monate lang auf der Gewinnerstraße.“ Mit jedem Gewinn erhöhte er auch die Einsätze. 2 Euro? Lächerlich! Nach 20 Euro kamen 100 Euro, dann 200 Euro. Und da brach die Glückssträhne ab. Das Gerät wurde zum „Drecksautomaten, der nichts mehr hergab.“ Nach einem Jahr „intensiven Spiels“ hatte Murat insgesamt einen ganzen Monatslohn verzockt, ohne auch nur einen Cent wiederzusehen.

Also begann er mit Anpumpen. Bei Freunden, bei Kumpels. Denn irgendwie mussten ja noch die Lebenshaltungskosten beglichen werden, Miete, Strom, Einkäufe usw. Seine Frau merkte nichts, er log sie an. Er habe Geld verborgt, begründete er ihr gegenüber fehlende Beträge, und er würde schon darauf achten, es wieder zurück zu bekommen. Nichts kam. Die Luft wurde dünner. Da vertraute er sich seinem Vater an, gestand seine Spielschulden. „Wir beide hatten immer ein sehr enges Vertrauensverhältnis“, erklärt Murat. Ok, habe der Vater gesagt, Fehler könne jeder mal machen, und er würde ihm helfen. Mit dem Geld des Vaters wurden private Schulden beglichen. Weil Vertrauen gut, Kontrolle aber noch besser ist, ließ der Vater seinen Ältesten bewachen, als sich abzeichnete, dass dieser erneut vor den Automaten saß. Aber da war auch Murats Angst, dass seine Frau ihn verlassen könne, wenn sie hintenherum erführe, wie es um ihn bestellt sei. Da setzte er sich mit seinem Vater und seiner Frau an einen Tisch und es kam zu einer ernsten Aussprache. Danach fühlte sich Murat erleichtert, „da habe ich es geschafft, spielfrei zu bleiben.“ Das ging sechs Monate gut. [...]