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Richard Wagner und Leipzig

1. Teil: Harte Zeiten für eine kinderreiche Familie

Das Töten in der Völkerschlacht findet in den Vormittagsstunden des 19. Oktober 1813 sein Ende. Nicht jedoch das Sterben. Tausende Soldaten erliegen noch in den kommenden Tagen und Wochen ihren Verwundungen. Allein die Franzosen haben etwa 23 000 Mann in Lazaretten zurückgelassen. Leipzig selbst bleibt zwar vor Zerstörung verschont, aber bis in den Dezember hinein grassieren Hunger und Seuchen. So hält der Sensenmann auch unter der Bevölkerung reichlich Ernte. Eines dieser späten Opfer ist der 43-jährige Carl Friedrich Wilhelm Wagner. Der Prozessschreiber im Dienste der Polizei erliegt am 23. November 1813 dem Flecktyphus, der die Stadt heimgesucht hat.


Flucht aus der Stadt
Wagner war ein gebildeter Bürger und Freimaurer, und ein hohes Amt in der Polizeidirektion stand schon in Aussicht. Noch etwas zeichnete den pflichtbewussten Mann aus: Er war einer, der dem „sehr gepflegten Theater eine fast leidenschaftliche Teilnahme zuwendete“. Während der französischen Besetzung Leipzigs hielt Friedrich Wagner, der ausgezeichnet Französisch sprach, als Kontaktmann die Verbindung zwischen dem Rat der Stadt und den Besatzern. Nun war ihm diese Position zum Verhängnis geworden.


Mit seinem Tod lässt der Beamte eine vielköpfige Familie zurück. Diese wohnt im zweiten Stock des engen Mietshauses „Zum Roten und Weißen Löwen“ am Brühl. Es ist die 39-jährige Witwe Johanne Rosine geb. Pätz, Tochter eines Weißenfelser Weißbäckermeisters, mit ihren sieben noch nicht erwachsenen Kindern. Noch am 22. Mai des gleichen Jahres hatte sie hier im Haus einen Sohn geboren. Er erhielt den Namen Wilhelm Richard. Seine älteren Geschwister sind: Albert (geb. 1799), Rosalie (geb. 1803), Julius (geb. 1804), Luise (geb. 1805), Klara, Maria Theresia (geb. 1809) und Ottilie (geb. 1811). Ein weiteres Kind, Carl August, verstirbt bereits im ersten Lebensjahr.
Schon einen Monat nach der Geburt des jüngsten Sprösslings floh die Familie aus Angst vor den Kriegsereignissen, für einige Wochen aufs Land nach Stötteritz. Die sich nähernden Armeen Napoleons sowie der Verbündeten in der Leipziger Tiefebene verheißen nichts Gutes für die Stadt. Trotzdem findet die Familie noch einmal kurz zurück, um den kleinen Richard am 16. August standesgemäß in der Thomaskirche taufen zu lassen.


Ein wilder „Kosake“
Mit dem Tod des umtriebigen Vaters beginnt für den Rest der Familie ein unstetes Leben, das die Mutter nicht selten zu überfordern droht. Richards neunjähriger Bruder Julius wird vorübergehend in ein Dresdner Erziehungsinstitut der Freimaurer gebracht. Ermöglicht hat dies ein Freund der Familie, der jüdische Maler, Dichter und Schauspieler Ludwig Heinrich Christian Geyer aus Dresden. Wie Wagner sen. ist auch Geyer ein Freimaurer und Mitglied der Loge „Ferdinand zur Glückseligkeit“. Er nimmt sich der Familie an. Bis heute hält sich die Vermutung, dass Geyer sogar der leibliche Vater von Richard sei. In der Vergangenheit war die Mutter in der Tat mit Geyer mehrmals zusammengekommen, alles weitere darüber bleibt jedoch Spekulation. [...]