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Steinreiche Literatur

Wie Steine und Mineralien die Phantasie beflügeln

Immer, wenn ich bei ihr eine „KiPPE“ kaufe, fragt mich die freundliche Verkäuferin: „Na, wann werden Sie denn mal etwas über Steine schreiben?“ Ein Thema, das uns verbindet. Und wenn man erst mal nach den Steinen in der Weltliteratur oder Mythologie sucht, kommt man aus dem Stolpern nicht mehr heraus.

Steine haben für den Menschen viele Funktionen: nicht nur dient das Stolpern der Aufmerksamkeit und der Erinnerung (wie bei den Stolpersteinen), die Steine sind auch ein Gegenentwurf zum flüchtigen Leben der Menschenwelt. Als Berge ragen sie in die Unendlichkeit, verkörpern Ewigkeit und Ruhe. Als kleine Steine können sie den Betrieb, das Gehen stören. Aber man kann sie auch nutzen wie Demosthenes, der einen Sprachfehler hatte, und sich Kiesel in den Mund legte, um das Reden zu üben. Aus ihm sollte einer der größten Rhetoriker der Antike werden. Es gibt edle und nicht so edle Steine, was sich manchmal schnell ändern kann. Der Diamant war uninteressant, solange man ihn nicht schleifen konnte.

Auch die ewige Ruhe der Felsengebirge ist nur eine optische Täuschung. Das wissen die Geologen wie die Mythologen. Im indischen Mythos sind sie Steine, die vom Himmel gefallen sind, geflügelte Brocken. Erst als der Gott Indra ihnen die Flügel nimmt, beruhigen sie sich. Aus den Flügeln werden dann die Wolken, die gern die Berggipfel umkreisen.

Steine sind vorgeblich tot, aber eben deshalb hat der Mensch sie immer wieder belebt. Sie haben als Amulette magische Kräfte, dienen der Astrologie in alter Treue. In chinesischen Geschichten sind sie oft lebendig, sie pflanzen sich fort und es gibt Weise, die sich vor ihnen täglich verneigen. Denn was käme den Göttern näher als ein Stein? Chinesische Weise schauten so lange auf bestimmte Steine, bis sie einen Rausch bekamen. Der Stein vermittelte ihnen auch eine Form von Unsterblichkeit.

Auch in Europa gibt es solche Vorstellungen. Zu Pulver zerriebene Steine wurden zur Heilung verschiedenster Krankheiten eingesetzt. Die Steinkunde der Hildegard von Bingen, eine der außergewöhnlichsten Frauen aller Zeiten, wird bis heute noch in Teilen ernst genommen. Allerdings ist sie auch antiken und mittelalterlichen Ideen verhaftet, wenn sie sagt, der Ligurius, eine Art Bernstein, stamme vom Urin des Luchses ab. Fabulöse Steine finden sich auch in Berichten von antiken Autoren, zum Beispiel von solchen, die nachwachsen. Im Alten Testament und im Islam besteht die Vorstellung, dass Steine von der Sünde derer, die sie berühren, schwarz werden, so die Kaaba von Mekka. Der Ammonit galt als Abdruck der Sonne, der Aquamarin entstammt dem Schatz der Meerjungfrau. Die Farbe des Beryll half den Augen im Mittelalter; bald wurden die ersten Brillen daraus geschliffen, die eben deshalb so heißen. Auch konnte man mit ihm in die Zukunft sehen. Wer vor Gericht siegreich sein will, sollte einen Chalzedon in den Mund tun. Der Chrysolit ist gut gegen Geiz (den eigenen). Der legendäre Diamant Koh-i-Noor war ein Fluch für Männer; daher setzte man ihn in die Krone der englischen Königin. Der Jaspis dient dem Kampf gegen Taubheit und Schnupfen. [...]