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Berlins populärster Schnorrer

Wie ich den Künstler John Höxter entdeckte

Ich sammele außergewöhnliche Buttons. Die meisten dieser aus über 50 Stück bestehenden Sammlung zieren meine Kleidungsstücke. Mützen, Rucksäcke oder Jacken verschönere ich gern auf diese Art und Weise. Fast alle habe ich auf Ebay erstanden. Vor etwa einem Jahr entdeckte ich dort beim Stöbern einen interessanten Button mit dem Selbstportrait des mir bis dahin vollkommen unbekannten John Höxter. Er gefiel mir auf Anhieb und wurde sogleich bestellt. Mein Interesse war geweckt. Ich wollte mehr wissen. In den nächsten Tagen besorgte ich mir drei Bücher, die in Zusammenhang stehen mit dieser fast vergessenen „Randfigur der Moderne“.

John Höxter wurde am 2. Januar 1884 in Hannover geboren. Er war Teil der Berliner Bohème und mit Persönlichkeiten wie z. B. Else Lasker-Schüler bestens bekannt. Mit Bohème bezeichnet man meist eine Gruppe von Künstlern, die sich betont gegenbürgerlich verhalten. Zu Lebzeiten Höxters gab es gerade in Berlin eine große Bohème-Szene, wie man heute sagen würde. Er war jedoch nur in zweiter Linie Künstler. Sein Gesamtwerk umfasst lediglich einige hundert Seiten. Sein eigentlicher „Beruf“ war der des „populärsten Schnorrers Berlins“. Jahrzehntelang zog er, mehr geduldet als erwünscht, durch die Berliner Cafés, besonders das Café des Westens und später das Romanische Cafe. Dort pumpte er die Gäste mit Sätzen an wie „Könnse mir fünfzig Pfennige borgen? Nur bis morgen? Ehrenwort!“. Forderte jemand das ja eigentlich nur geliehene Geld zurück, reagierte Höxter meist verwundert, konnte jedoch auch sehr ungehalten werden. Er brauchte das Geld, um seine Sucht zu finanzieren. John Höxter war schwer von Morphium abhängig.

Sein schmales Werk besteht sowohl aus Bildern und Zeichnungen als auch aus Texten und Gedichten. Fast vergessen ist „Der Roman der XII“, ein literarischer Scherz aus dem Jahr 1909. Zwölf Autorinnen und Autoren schrieben damals zusammen ein Buch, jeder von ihnen steuerte ein Kapitel bei. Zusammen ergab sich eine geschlossene Handlung. Höxter portraitierte jeden der Zwölf und seine Bilder wurden mit veröffentlicht.

Nach ihrer Machtergreifung erließen die Nazis ein Gesetz, das Juden das Betreten von Cafés nicht mehr erlaubte. Für den Juden John Höxter kam dies einem Berufsverbot gleich. Seine Existenzgrundlage war zerstört. Am 15. November 1938 beging er deswegen Selbstmord. Es hat lange gedauert, bis Höxter offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurde. Das geschah erst 2012, als er in das Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aufgenommen wurde. Ein Jahr später, am 29. Oktober 2013, wurde in Erinnerung an ihn in Berlin ein Stolperstein verlegt. Diesen findet man nicht an der Stelle des historischen Romanischen Cafés, sondern vor einem erst 2012 eröffneten Hotelcafé, das den gleichen Namen trägt. [...]