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Dieses „System“ ist grundfalsch

Interview: „A wie Asozial. So demontiert Hartz IV den Sozialstaat“

KiPPE: Frau Reif, bitte stellen Sie sich kurz vor.
Franziska Reif: Ich bin freiberufliche Autorin, Übersetzerin und Lektorin in den Sprachen Deutsch und Englisch.

Wie kam es zur Idee Ihres gemeinsam mit Tobias Prüwer verfassten Buches „A wie Asozial“?
Das war ein jahrelanger Prozess, der durch Anekdoten in Gang gesetzt wurde, die man von „Betroffenen“ über Hartz IV gehört hat, aber auch durch eigenes Erleben. Wie bei vielen Akademikern war es auch bei mir so, dass ich nach dem Studium nicht gleich nahtlos einen Job hatte, sondern erst einmal arbeitslos war. Und weil man vorher studiert und nicht gearbeitet hat, ist man gleich Hartz-IV-Empfänger. In dieser Situation habe ich mich dann sehr gewundert, wie im Jobcenter mit erwachsenen Menschen umgegangen wird, die eigentlich nichts falsch gemacht haben, außer dass sie gerade temporär nicht in der Lage sind, selbst ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das hat dann Recherchen in Gang gesetzt, die über Anekdoten hinausgingen. Nachdem Tobias und ich einiges an Material gesammelt hatten, erkannten wir darin eine gewisse Systematik, die schon im Gesetz selbst begründet ist. Daraus haben wir ein erstes Konzept gestrickt und sind damit an Verlage herangetreten.

Was soll das Buch bewirken?
Es gibt ja jede Menge Literatur zu dem Thema – aus soziologischer, juristischer, volkswirtschaftlicher, arbeitspsychologischer Perspektive und so weiter und so fort. Außerdem gibt es Ratgeber und Bücher von Betroffenen. Alle haben ihre jeweilige Berechtigung, doch füllen sie Regalmeter. Wir haben versucht, das alles zu bündeln, einen roten Faden reinzulegen und das dann lesbar und verständlich aufzuschreiben.

Ihre Veröffentlichung „A wie Asozial“ ist eine große Hartz-IV-Kritik. Können Sie dennoch irgendeinen positiven Aspekt an den derzeitigen Regelungen erkennen?
Das Einzige, das mir dazu einfällt, ist der Aspekt, dass Arbeitslose nicht ganz allein gelassen werden. Es könnte schlimmer sein, ich kann aber wirklich nicht sagen, was gut daran ist.

Warum wurde diese Reform durchgeführt?
Im Hintergrund des Ganzen stand, dass die fetten Jahre der BRD endgültig vorbei waren und man sich mit einer neuen Arbeitsmarktsituation konfrontiert sah. Es gab mehr Arbeitslose als in den frühen 1970er Jahren und man hatte hohe Kosten damit. Mit Hartz IV wollte man beides verringern. Dass die Kosten dann zunächst enorm gestiegen sind, wurde freundlicherweise den Arbeitslosen zur Last gelegt, obwohl das vor allem verwaltungstechnische Gründe hatte. Und dass die Arbeitslosenzahlen dann runtergingen, war in erster Linie ein konjunktureller Effekt, was natürlich auch indirekt mit der Reform zusammenhing, aber es hatte vor allem etwas mit der Liberalisierung des Arbeitsmarktes zu tun: Der Niedriglohnsektor wurde ausgeweitet, ebenso die Zeit- und Leiharbeit, was sich ja manchmal überlappt. Mit Hilfe dieser Modelle kann man Menschen viel schneller vermitteln und damit aus der Statistik heraus halten. Diesen Leuten geht es dann aber nicht unbedingt besser. Man muss betonen, dass durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes nicht massenweise gute Arbeitsplätze geschaffen worden sind, sondern dass sie zu einer Prekarisierung der Lebensverhältnisse führte, weil sich viele nun von einem befristeten Job zum nächsten hangeln, der dann auch noch schlecht bezahlt ist. Häufig landen sie auch schnell wieder bei Hartz IV und bleiben in dieser Spirale hängen. [...]