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Spezies Flaschensammler

Ein Insider und seine Nächte auf der „Karli“

Wochenende, Nacht, Karl-Liebknecht-Straße, Südplatz. Boulevardbetrieb, der das Handels- gewerbe hier dominierender Gaststätten gut frequentiert. Ein Treiben fast wie in einem südlichen Touristenort. Junge Leute, die auf Ladenfrontsimsen und anderen inzwischen tolerierten Sitzflächen oder einfach am Fahrbahnrand zusammenhocken, erzählen, Bier trinken.

Das intensive öffentliche Leben hier und in der nahen Umgebung wie z. B. bei der Feinkost hat eine weitere Spezies magisch angezogen: die Flaschensammler. Das ist eine ebenso heterogene wie unterschiedlich motivierte Truppe, Niedriglohn-Arbeiter, die sich untereinander wenig kennen, wohl aber aufmerksam beobachten, konkurrierend natürlich.
Da sind Obdachlose, meist ziemlich jung noch, erstaunlich offen und interessiert, sie teilen schon mal mit den „Kollegen“ oder sitzen einfach zusammen, am Rande. Sie haben oft bei Gelegenheitsarbeiten keine guten Erfahrungen gemacht, über Aversion gegenüber Behördengängen ist eine fast unüberwindliche Hürde für einen Weg in eine ordnungsgemäße, zukunftsfähige Neuorientierung entstanden.
Da sind die Arbeitslosengeld- und Harz IV-Läufer, die einzeln oder gemeinsam – Ehepaare, Brüder, Freunde, Bekannte – unterwegs sind, zu Fuß, mit Fahrrad, mit dem Auto.
Da sind Rentner überraschend verschiedener Einkommensniveaus, die auf diesem Weg steigenden Belastungen unterschiedlicher Art begegnen.
Und da sind einige wenige Ausländer, die den Kontakt zu den deutschen Sammlern zu vermeiden suchen, aber effektiv und erfolgreich zu Werke gehen.
Das Spektrum ist wechselnd, einer kommt hinzu, einer geht, andere gehören langfristig zur „Stammbelegschaft“. Es gibt die zeitlichen und örtlich nur punktuell in Aktion tätigen Sammler und es gibt die Sache als „Beruf“ betreibende Sammler, tagein, tagaus ständig unterwegs, vor allem auch die Glascontainer im Visier. Eine mühsame, aber erstaunlich lohnende Angelegenheit. Die Reaktionen der Leipziger sind differenziert. Dem nachtaktiven Sammler begegnet in der Regel unerwartete Freundlichkeit, symbolische Mithilfe, gar von Seiten junger Leute, selbst das Anbieten einer kleinen Geldspende kommt vor. Die aber wird nicht von allen Sammlern angenommen, da gibt es so etwas wie Berufsstolz. Verbürgt ist der Fall, dass ein junger Besucher einer Szenekneipe im Revier demonstrativ 20 Euro zückt mit den Worten: „Wir Ossis müssen zusammenhalten!“ [...]