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Bevormundung, Gängelei

Vor zehn Jahren wurde Hartz IV eingeführt

In den Genuss von Hartz IV kam ich in jenem Moment, als diese „Reform“ gerade ein halbes Jahr alt wurde. Ich konnte mich also glücklich schätzen, zu jenen zu gehören, die die neuen, vielversprechenden Segnungen mit als erste erfahren durften, um schnell wieder in Lohn und Brot zu kommen. Das war ja die eigentliche Absicht.

Wie im Knast Alcatraz
Zunächst sah alles hoffnungsvoll aus. Ich war als verantwortlicher Redakteur in einer Niederlassung eines Münchener Verlages tätig gewesen. Mein Arbeitsplatz lag in einem unvollendeten Gewerbegebiet jenseits der sächsischen Landesgrenze, bereits in Sachsen-Anhalt. Der tägliche Arbeitsweg mit der S-Bahn von Leipzig dorthin machte mir nichts aus. Ich hatte einen gut bezahlten Job, die Arbeit machte mir Spaß und in unserem gut aufgelegten, überschaubaren Team ging es sehr kollegial zu. Ich war viel unterwegs in mehreren Bundesländern, traf viele interessante Leute, erfuhr tolle Geschichten und Projekte, die dann unser regionales Magazin bereicherten.

Doch irgendwann kam die Zentrale in München dahinter, dass unser Niederlassungsleiter heimlich Bilanzen in der Akquise fälschte; nicht zu seinem persönlichen Vorteil, wie sich herausstellen sollte, sondern weil er die Niederlassung halten wollte. Es half alles nichts, am Ende wurde unser gesamtes zwölfköpfiges Team von heute auf morgen entlassen und gegen unseren Chef ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

In Leipzig meldete ich mich arbeitslos, bekam zunächst Arbeitslosengeld I. Da hieß die Behörde, die nun für einige Zeit zu einem Teil meines Lebens werden sollte, noch Arbeitsamt. Doch als ich dieses zum ersten Mal betrat, musste ich unwillkürlich an amerikanische Knastfilme denken. Ich wähnte mich wie in Alcatraz. Unendliche schmale, bedrückende Gänge, hinter den Galerien der Etagen reihten sich Tür an Tür, wie Zellen gleich. Eigentlich fehlten nur noch die Gittertüren zwischen den Abteilungen. Die nächste Beklemmung: Von nun an war ich eine Nummer, und nur mit ihr konnte ich identifiziert werden im Aktenwust der überforderten Behörde. Natürlich habe ich die Zeit genutzt, möglichst schnell wieder Fuß zu fassen, habe im Internet recherchiert, mich bei einer Jobbörse registrieren lassen, Profile angelegt, Bewerbungen verschickt. Auch für Stellen in anderen Bundesländern. Denn nur meinen Wohnort im Blick zu haben, wäre völlig sinnlos. Gerade Leipzig! Die „Boomtown“ hatte mit etwa 20 Prozent Arbeitslosenquote einen traurigen Rekord. Mit mir waren rund 50 000 auf Jobsuche oder hatten sich schon aufgegeben. Ich war gerade 48, im besten Alter also. Da geht doch noch was.

Ging auch. Nämlich beginnender Frust. Absage folgte auf Absage. Inzwischen bekam ich mit, dass andere Betroffene ihr Glück im Ausland versuchten: Österreich, die Schweiz, aber auch Norwegen oder Irland. Da ich schon immer eine Neigung für Skandinavien hatte, kam mir Schweden als Möglichkeit in den Sinn. Den passenden halben Namen hatte ich ja schon. Blieb „nur“ die Sprache. Ich machte mich bei der Volkshochschule kundig über einen Schwedisch-Kurs. Den gab es auch, nur nicht genügend Anmelder. Es blieb bei der fixen Idee. Da heuerte ich aufgrund einer vielversprechenden Anzeige bei einem Beratungsunternehmen an, machte mich selbständig, nachdem ich ein perfektes Konzept vorgelegt und alle Tests bestanden hatte. Das war die Zeit der unsäglichen Ich-AG. Der Volksmund übersetzte es bald mit „ich Arschloch, großes“. Genau. [...]