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Die Wasserstadt

Da gibt’s keinen Neid mehr - Wie Leipzig seinen Weg zur Wasserstadt gefunden hat

Ein Sonntag im Hochsommer 1987. Während andere zum Baden an den Kulkwitzer See, an den Bagger oder an den Elsterstausee fuhren (damals die einzigen natürlichen Badewannen Leipzigs), saß ich mit meinem Kollegen Norbert Wehrstedt in der Redaktion der „Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten“ in der Bosestraße. Wir beide schoben Sonntagsdienst für die Montagsausgabe. Der (vorgegebene) Aufmacher stand längst fest, und der hatte überhaupt nichts mit Leipzig zu tun: „Wasserstadt Berlin“ lautete der gewählte Titel, und die von „Zentralbild“ bereitgestellten Fotos zeigten feuchtfröhliche Ausgelassenheit in der Hauptstadt: Bootscorso auf Spree und Dahme, Regatta auf dem Müggelsee, Partys auf Ausflugsdampfern, FKK-Parade auf ausgeschmückten Kähnen. Das Ganze war Teil der 750-Jahr-Feier Berlins, die eine Festivität nach der anderen durch die Stadt trieb und den Rest der kleinen Republik nicht gerade wohlgesonnen draufblicken ließ.

Ein bisschen neidisch und kopfschüttelnd schaute ich auf die Aufnahmen. Typisch Berlin! Und was hatte Leipzig? Siehe oben. Das war‘s auch schon, und was da noch als Pleiße und Elster und Parthe durch die Stadt schäumte, hatte mit Wasser so wenig miteinander zu tun wie Leipzig mit einem Luftkurort. Viele Abschnitte verliefen unterirdisch oder waren einfach zugeschüttet worden. Hinzu kam der Geruch von Chemie, Rauch und Abgas. Und die Braunkohlebagger im Süden fraßen sich schon an die Stadtgrenze heran.

Jetzt haben wir wieder eine Wasserstadt, und die heißt – Leipzig! Was vor 27 Jahren noch für Unmut sorgte, kann inzwischen hinweggelächelt werden. Aus dem Südraum ist eine Seenplatte geworden. Erst kürzlich wurde der Störmthaler See mit einem Fest übergeben. Im kommenden Jahr ist dann der Zwenkauer See als größte Badewanne hier im Leipziger Raum fertig. Der Karl-Heine-Kanal mit seinem Radweg ist zur Idylle im einst schmutzigen Leipziger Westen geworden. So führt mein täglicher Weg zur Arbeit auch am Aurelienbogen vorbei und wenn ich sehe, wie sich dort unterhalb der Philippuskirche junge Leute, Familien oder Spaziergänger an der Terrasse treffen, Nutrias beobachten, vorbeifahrenden Ruderern oder Ausflüglern auf der „Weltfrieden“ zuwinken oder einfach nur dösen und in der Nachmittagssonne zur Lektüre greifen, dann ist das Beschaulichkeit, die inzwischen zu Leipzigs Alltag gehört. Es ist ein Stück Lebensqualität. Wasser und Leben gehörten schon immer zusammen. Und: Momentan läuft der Durchstich zum Lindenauer Hafen, wo ein neues Wohnquartier am Wasser entstehen soll.

Fast in Cityreichweite befindet sich der andere Hafen, der Stadthafen am Schreberbad. Noch ist das eigentliche Becken nicht ausgehoben, aber entlang der Pier und bei der Bootsausleihe herrscht schon eifriges Treiben, damit von hier aus mit Boot oder Kanu der Elstermühlgraben, die Weiße Elster und das Elsterflutbett sowie die grünen Uferlandschaften erkundet werden können.  Und da gleiten doch tatsächlich echte venezianische Gondeln mit Liebespärchen darin vorbei. Die Illusion ist fast perfekt. [...]